Essverhalten und Tischsitten

Essen ist ein kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Die Speisenauswahl, die äußere Gestalt und das begleitende Zeremoniell sind nicht nur materiellen, sondern auch religiösen, sozialen und medizinisch-diätetischen Einflüssen unterworfen. Dies gilt gleichermaßen für die heutige Zeit wie für das Spätmittelalter.

 

Die Tischsitten hingen in stärkerem Maße als heute vom sozialen Stand ab. Von der zahlenmäßig stärksten Gruppe der Bauern hob sich die wachsenden Zahl der Stadtbewohner wie Händler und Handwerker durch Tischsitten ab, die so auch beim Adel zu finden waren. Da so gut wie keine Bilder alltäglicher Mahlzeiten aus der Zeit des Mittelalter existieren, ist es schwierig, das Tischverhalten des spätmittelalterlichen Menschen darzustellen. Doch auch auf die Bilder außergewöhnlicher Feste ist kein Verlass, da die Künstler die Weisungen ihrer Arbeitgeber befolgen mussten und die Bilder daher meist ein bestimmtes Ziel verfolgten. Entweder die Zurschaustellung von Macht und Reichtum einerseits, oder die Herabwertung der Bauern durch Darstellungen ihrer dürftiger Verhältnisse andererseits.

 

Eine vornehme Tischgesellschaft wurde von den sogenannten Tischzuchten geprägt. Darunter verbargen sich die Benimmregeln die "eines Hofmannes gemessen waren". Die ersten Tischzuchten entstanden bereits Anfang des 12. Jhds. in Spanien, bis diese jedoch auch zu den deutschen Höfen vorgedrungen waren dauerte es noch gut 100 Jahre.

 

Gute Tischmanieren wurden im Spätmittelalter sehr geschätzt, dies lässt sich aus dem hohen Verbreitungsgrad der Tischzuchten schließen. Gerade Sauberkeit war eine wichtige Maxime. Es war üblich, sich nach dem obligatorischen Tischgebet die Hände und Fingernägel zu reinigen. In vornehmen Haushalten wurde zusätzlich zwischen den Gängen Waschschalen zur Reinigung der Finger gereicht, da es als unhöflich galt, die Finger abzulecken. Man konnte die Finger auch an Servietten oder dem Tischtuch abwischen. Servietten waren seit Ende des 15. Jhds. in Gebrauch und waren entweder über die linke Schulter oder den linken Arm zu legen.

 

 

Auch das Empfinden von Ekel schien sich bereits im Spätmittelalter ausgeprägt zu haben, denn mit vollem Mund zu sprechen oder zu trinken war untersagt. Ebenso wurde, wo es ging, der Kontakt der gemeinsamen Gerichte mit dem Speichel der Speisenden vermieden. So durfte nichts Angebissenes in die gemeinsamen Schüsseln getaucht werden. Wurde eine Portion vom Vorlegegeschirr genommen, wurden die verwendeten Löffel, Messer oder Finger vorher gesäubert. Auch was auf den Boden gefallen war, durfte nicht mehr auf den Teller zurückgelegt oder zum Mund geführt werden.

 

 

Sauberes Essen war also ein Zeichen der Wohlanständigkeit, was verständlich ist, da Geschirr häufig gemeinsam benutzt und Besteck nur eingeschränkt verwendet wurde. Daher wurden die Speisen bereits kleingeschnitten in handlicher Form gereicht, oder es wurden Pasteten serviert, die man bequem in die Hand nehmen konnte. All die erwähnten hygienischen Maßnahmen entsprechen im Grunde den heutigen Tischsitten. Doch die Nennung bestimmter, für uns selbstverständlicher Regeln verrät, dass diese noch nicht allgemeingültiges Gedankengut waren. Im großen und ganzen wurden die Tischsitten auch eingehalten, doch Berichten von Zeitzeugen zufolge gab es auch Sauf- und Fressorgien. Und mehrfach wurde auch das sogenannte maislen oder ulistieren erwähnt. Dabei handelte es sich um ein Gesellschaftsspiel, das aus dem gegenseitigen Bewerfen mit Lebensmitteln bestand.

 

Nach dem Essen war es üblich, dass sich die Frauen zurückzogen, denn bei dem anschließenden Trinkgelage war ein Verhalten auf niedrigem Niveau zu erwarten.

Auch bei einer reinen Männergesellschaft ging es nach unseren Maßstäben beim Essen oft sehr ausgelassen zu, doch der Öffentlichkeit gegenüber musste der Anschein des standesgemäßen Benehmen gewahrt bleiben.

 

Natürlich ging es bei den Bauern zwangloser zu, doch diese als trinksüchtig und zügellos darzustellen ist ungerechtfertigt, denn sie waren nicht an das Zeremoniell des Hochadels gebunden, noch strebten sie danach diese zu imitieren, wie es beim Bürgertum der Fall war.

 

Gemäß den Tischzuchten galt es auch als unfein sich bei den vielen Gängen eines Banketts zu viel auf einmal zu nehmen, denn die Völlerei stand dem Sittengefühl der damaligen Zeit entgegen. Die "Gula", wie die Völlerei auch genannt wurde, gehörte zu den sieben Todsünden und war den Christen daher verboten. Doch an dieser Stelle möchte ich einmal ein Beispiel für ein solches Bankett einfügen:

 

  1. Met-Honigwein im Krug
  2. Steinbrot-Fladen mit Griebenschmalz
  3. ein kühles Braunbier
  4. Bündnerfleisch mit Meerrettich
  5. ein Klarer zum Nachspülen
  6. Gefüllte Wachteln auf Eierteigstäbchen
  7. Salm auf Art des Meisterkochs
  8. Apfelschnitz in Calvados auch "Adam und Eva" genannt
  9. Mangold-Lauch-Gemüse
  10. Feine Pasteten nach spanischer Art
  11. Obstler mit Wacholderbeeren
  12. Feines Eierragout
  13. Wein im Trinkhorn
  14. Alter Gebirgskäse
  15. Mandeltorte und in Wein gedünstete Äpfel

 

Da im Mittelalter nur Tages- oder Kerzenlicht zur Verfügung stand, waren die Essenszeiten an die Tages- und somit Jahreszeit gebunden. Doch üblicherweise stand die arbeitende Bevölkerung bei Morgengrauen auf, dies konnte im Sommer durchaus mal gegen drei oder vier Uhr sein. Das Frühstück, als sogenanntes Morgenbrot, Morgensuppe oder -essen bezeichnet, fiel eher mager aus. Es konnte aus einem Brei, einer Suppe oder nur aus Milch oder einer Scheibe Brot bestehen. Mancherorts wurde auf das Frühstück auch ganz verzichtet oder es war lediglich den Kranken, Kindern oder schwer arbeitenden Berufsgruppen vorbehalten.

 

Gegen elf Uhr wurde bereits die erste Hauptmahlzeit, das Frühmahl bzw. Imbiss eingenommen, es bestand entweder aus Brei, Kraut, Fleisch, Obst oder Milchprodukten. Das Nachtmahl oder Schlaftrunk fand bei Sonnenuntergang statt und erreichte oft nur den selben Umfang wie das Morgenbrot. Je nach Jahreszeit, anfallenden Arbeiten oder regionalem Brauch konnte der lange Arbeitstag noch durch ein oder zwei leichte Mahlzeiten unterbrochen werden.

 

Der Esstisch der damaligen Zeit war sehr spärlich gedeckt. Jedem Gast stand entweder ein Brettchen, eine flache Schüssel, oder teilweise sogar nur eine Scheibe Brot zur Verfügung. Des weiteren brachte jeder seinen eigenen Löffel und sein eigenes Messer mit. Gabeln wurden nicht zum Essen benutzt, sie dienten lediglich als Vorlegebesteck oder wurden äußerst selten für klebriges Konfekt verwendet.

 

Trinkgefäße standen nicht für jeden Gast zur Verfügung, denn sie dienten einer gemeinsamen Nutzung was in dieser Zeit allgemein üblich war. Die Trinkgefäße bestanden entweder aus Holz, geböttchert, oder gedrechselt, oder aus Glas sogenannten Noppengläsern, diese waren jedoch nur in wohlhabenden Haushalten zu finden. Trinkgefäße mit Deckeln waren lediglich sozial hochgestellten Personen vorbehalten.

 

Tischtücher gehörten zum festen Inventar eines Hauses, auch bei Festen niederer sozialer Schichten war es zu finden.

 

In den spätmittelalterlichen Haushalten gab es natürlich auch Geschirr, doch es wurde auf der sogenannten Tresur aufgebaut. Hier und nicht auf dem Tisch prunkte der spätmittelalterliche Gastgeber mit seinem Reichtum. Neben Demonstrationszwecken diente solches Repräsentationsgeschirr aus Edelmetall auch als Kapitalanlage. Je wohlhabender der Haushalt, um so kostbarer war das Material, aus dem solche Schenkkannen, Kühlbecken, Gewürzbehälter und Platten hergestellt waren. Weniger wohlhabende Bürger und Kleinadelige ließen sich Geschirr aus Zinn anfertigen, das Silber imitieren sollte, dies erfuhr jedoch erst im 15. Jhd. eine nennenswerte Verbreitung.

 

Das Alltagsgeschirr bestand weiterhin nur aus Holz, erst im 13. Jhd. kamen allmählich Stücke aus Keramik dazu. Glas und Metall blieb jedoch dem Adel und Bürgertum vorenthalten.

 

Doch nicht nur mit wertvollem Geschirr zeigte der Gastgeber seinen Reichtum, sondern auch mit den sogenannten Schaugerichten. So wurde bei einem österlichen Fest ein vergoldetes und bunt angemaltes Osterlamm aufgetragen. Ein weiteres Gelage bestand aus einem Rosenbaum, einem Pelikan und einem auf Mandelmilch schwimmenden Schwan. Sowohl der Pelikan als auch der Schwan natürlich im Federkleid. Auch die künstliche Veränderung von Form, Farbe und Geschmack war sehr beliebt. So wurden Gerichte parfümiert und eingefärbt, z. B. mit Kornblume für Blau, Petersilie für Grün, Safran für Gelb und Rote Bete für Rot. Eine weitere Möglichkeit seinen Reichtum zu zeigen bestand darin für die Gericht teuere Importgewürze zu verwenden.